Präzisieren Sie noch oder verstoßen Sie schon? Zur Bekanntmachungspflicht bei Unterkriterien.
1. Ausgangssituation
Die VK Bund (VK Bund, Beschluss v. 07. Dezember 2022 – Az.: VK-2-96/22) hatte über die Beschaffung von IT-Leistungen zu befinden, die im Rahmen eines nichtoffenen Verfahrens europaweit ausgeschrieben wurden. Als Zuschlagskriterium wurde bekannt gemacht, dass „[...] das wirtschaftlich günstigste Angebot in Bezug auf die Kriterien, die in den [Vergabeunterlagen] aufgeführt sind [...]“ den Zuschlag erhalten solle. Die Vergabeunterlagen umfassten u.a. die Hinweise zu den Bewerbungsbedingungen und einen „Kriterienkatalog Leistung“. Aus diesen Unterlagen ergab sich, dass das wirtschaftlichste Angebot nach der erweiterten Richtwertmethode und aufgrund der im Kriterienkatalog geforderten Nachweise und Erklärungen ermittelt werden soll. Der Leistungskatalog selbst, umfasste zunächst fünf Seiten. Gegenstand der Zuschlagskriterien, war u.a. das Lösen einer zunächst noch nicht näher konkretisierten Beratungsaufgabe. Die Einzelbewertungskriterien und die Aufgaben-stellung zur Beratungsaufgabe wurden den Bietern dabei erst am Tag der Testaufgabe und über einen ergänzenden Kriterienkatalog als Anlage zur Testaufgabe übermittelt. Die unterlegene Bieterin wehrte sich im Verfahren vor der VK Bund u.a. mit dem Argument, dass die Bekanntgabe der Bewertungs(unter-)kriterien zur Testaufgabe und deren Gewichtung erst am Tag der Testaufgabe übermittelt wurde und dies gegen § 127 Abs. 5 GWB und den Transparenzgrundsatz verstoße.
2. Entscheidung
Die Entscheidung der VK Bund reiht sich in eine Vielzahl von jüngeren Einzelfall-entscheidungen ein, die sich mit der Bekanntmachung von Zuschlagskriterien befassen und aufzeigen, dass es gefährlich sein kann, den Bietern nicht alle Bewertungsebenen, deren Kriterien und deren Gewichtungen bekanntzugeben, denn im Ausgangspunkt müssen Zuschlagskriterien so festgelegt und bestimmt sein, dass ein wirksamer Wettbewerb ermöglichet wird und der Zuschlag nicht willkürlich erteilt werden kann vgl. § 127 Abs. 4 S. 1 GWB. Ferner ergibt sich aus § 127 Abs. 5 GWB, dass die Zuschlagskriterien (auch die Unter-kriterien) und deren Gewichtung in der Auftragsbekanntmachung oder in den Vergabe-unterlagen aufgeführt werden müssen – nicht hingegen die Bewertungsmethode (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Juli 2016 - Rs. C-6/15; BGH, Beschluss vom 4. April 2017 – Az.: X ZB 3/17; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Mai 2020 – Az.: Verg 26/19; OLG Celle, Beschluss vom 25. März 2021 – Az.: 13 Verg 1/21).
Ausgehend von diesen Prämissen kommt die VK Bund zu dem Ergebnis, dass das Lösen einer Testaufgabenstellung unter Zeitdruck nicht gegen § 127 Abs. 5 GWB verstoße, „[...] weil es sich beim fiktiven Beispielszenario, den einzelnen Arbeitspaketen AP 1 bis 6, deren Gewichtung sowie den Ausführungen zum Erwartungshorizont der Auftraggeberin nicht um Zuschlagskriterien bzw. Unterkriterien i.S.d. § 127 GWB [sondern lediglich um Präzisierungen bereits bekanntgegebener Zuschlagskriterien] handelt [...]“.
Zuschlagskriterien seien die ursprünglich bekanntgemachten Zuschlagshauptkriterien „Preis“ und „Qualität“, wobei hinsichtlich des Hauptkriteriums „Qualität“ bekannt gemacht wurde, dass sich die Bewertung nach der zu erreichende Gesamtpunktzahl für die zu lösenden Test-aufgabe richtet. Preis und Leistung sind zudem nach der erweiterten Richtwertmethode in ein Verhältnis gesetzt worden, was ebenfalls nicht zu beanstanden ist. Durch die nachträglich übermittelten Einzelbewertungskriterien wurde dieses Verhältnis nicht geändert, sondern das Qualitätsmerkmal lediglich hinsichtlich der Aufgabenstellung, Gewichtungsfaktoren und der Prüfungssituation nur verdichtet.
Auch mit Bezug zum Zeitpunkt der Bekanntmachung dieser Ergänzungen erkennt die Vergabekammer keinen Vergabeverstoß und führt hierzu aus, dass „[...] es liegt in der Natur von Test- und Prüfungsaufgaben [liegt], dass der Inhalt des Tests bzw. der Prüfung den Bearbeitern nicht vorab bekannt gegeben werden, ansonsten wäre eine Prüfung sinnlos. Das Vergaberecht schränkt indes den Beurteilungs- und Handlungsspielraum des Auftraggebers nicht ein, konkrete auftragsspezifische Wettbewerbssituationen zu schaffen, wenn wie hier eine Beeinträchtigung der Grundsätze von Gleichbehandlung, Transparenz und Wettbewerb ausgeschlossen ist [...].“
3. Auswirkungen in der Praxis
Die Entscheidung geht zurück auf die Spruchpraxis des Bundesgerichtshofs zur sog. Schulnotenrechtsprechung (vgl. BGH, Beschluss v. 04. April 2017 – Az.: X ZB 3/17). Die Schulnotenrechtsprechung erlaubt es, vorab abstrakte Leistungsanforderungen zu setzen und die Unbestimmtheit der Bewertungsmaßstäbe erst in der Dokumentation der Wertung mit Leben zu füllen. Unzulässig ist es jedoch, Unterkriterien inhaltlich offenzulassen, was erst recht gilt, wenn die Unterkriterien überhaupt nicht gegenüber den Bietern bekannt gemacht werden (vgl. VK Lüneburg, Beschluss v. 15. Oktober 2021 – Az.: VgK-36/2021). Lediglich die Bewertungsmethode muss also nicht vorab bekanntgemacht werden (vgl. EuGH, Urteil vom 14.07.2016 - Rs. C-6/15; OLG Frankfurt, Beschluss v. 12. April 2022 – Az.: 11 Verg 11/21).
Doch wann ist von einem bekanntzumachenden Unterkriterium auszugehen und wann ist dieses bekannt zu machen? Genau hier setzt die Entscheidung der VK Bund an.
Die Grenze, ab der das Offenlassen von Bewertungsmaßstäben vergaberechtlich unzu-lässig ist, ist auch nach der Entscheidung der VK Bund dann erreicht, wenn der Bieter nicht weiß, welche Voraussetzungen gestellt werden, um das wirtschaftlichste Angebot zu ermitteln. Unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Natur von „Prüfungs- und Testaufgaben“ sei es allerdings noch vom Beurteilungsspielraum des Auftraggebers umfasst, den Umgang mit „Unvorhergesehenem“ zum Gegenstand der Wertung selbst zu erheben. Dies rechtfertige auch eine kurzfristige Bekanntmachung der Bewertungsmaßstäbe in den Vergabeunterlagen.
Eine genauere Begründung bei der begrifflichen Abgrenzung zwischen einem Unterkriterium und einer Präzisierung, wäre jedoch wünschenswert gewesen, da die Vergabekammer des Bundes von bekanntzugebenden Unterkriterien nur dann auszugehen scheint, wenn diese Einzelaspekte zu einer „Veränderung der Gesamtbewertung von Leistung und Preis“ führen. Eine nicht bekanntzumachender Wertungsmaßstab sei hingegen dann anzunehmen, wenn lediglich eine Präzisierung (auch hinsichtlich der Gewichtungsfaktoren) bei der Ermittlung der Gesamtleistungspunktzahl getroffen würde. Für den Rechtsanwender stellt sich daher die Frage, wann noch lediglich von einer Präzisierung ausgegangen werden kann. In diesem Punkt wäre es vorteilhaft gewesen, wenn sich die Entscheidung der VK Bund mit der jüngeren Rechtsprechung des OLG Frankfurt auseinandersetzt, wonach bekannt zu machende Unterkriterien solche Kriterien sind, die der Ausfüllung und näheren Bestimmung eines Hauptkriteriums dienen und präziser darstellen, worauf es dem Auftraggeber ankommt (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss v. 12. April 2022 – Az.: 11 Verg 11/21; OLG Frankfurt, Beschluss v. 22. September 2020 – Az.: 11 Verg 7/20). Eine trennscharfe Abgrenzung zwischen einer Präzisierung und einem bekanntzumachenden Unterkriterium ist für den Rechtsanwender daher auch weiterhin mit Risiken verbunden.
Vor diesem Hintergrund wird man daher auch weiterhin anraten, das Transparenzgebot ernst zu nehmen, obwohl ein Bieter nicht im Vorhinein erkennen können muss, welche Einzelaspekte sein Angebot auf der Grundlage der bekannt gemachten Zuschlagskriterien zu erreichen hat, um mit einer bestimmten Notenstufe bzw. Punktzahl eines Notensystems bewertet zu werden. Die Grenze, ab der das Weglassen von zuschlagrelevanten Informa-tionen vergaberechtlich bedenklich ist, dürfte dann erreicht sein, wenn die aufge-stellten Wertungsmaßstäbe so unbestimmt sind, dass sich der Bieter nicht mehr angemessen über die Kriterien und Modalitäten informieren kann, anhand derer das wirtschaftlichste Angebot ermittelt wird (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss v. 12. April 2022 – Az.: 11 Verg 11/21; vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 19.06.2013 - Verg 8/13; VK Lüneburg, Beschluss v. 29.10.2014, VgK-38/2014). Allein einen unbestimmten Oberbegriff als Unterkriterium zu verwenden (z.B. Personalstruktur) dürfte an der Grenze des Vertretbaren liegen, auch wenn die dahinterstehende Bewertungsmethode etwaige Transparenzlücken auffangen kann. Dass diese zu formulierenden Wertungsmaßstäbe bei zu lösenden Testaufgaben erst später bekannt gemacht werden können, darf also nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein klares Bild davon vermitteln werden muss, worauf es dem Auftraggeber ankommt. Da dies jedoch von Beschaffung zu Beschaffung verschieden sein kann, bietet allein diese Abgrenzungsfrage in der Praxis ein nicht unerhebliches Streitpotential.
Heidelberg, im Januar 2023
Herr Philipp Härter ist Rechtsanwalt bei GRÉUS Rechtsanwälte an unserem Standort in Heidelberg und seit 2021 Partner der Sozietät. Als Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht berät und vertritt er Mandanten in allen Fragen des privaten Baurechts sowie des Architekten- und Ingenieurrechts. Ein weiterer besonderer Schwerpunkt liegt in der Beratung und Vertretung von öffentlichen Auftraggebern in allen Beschaffungsfragen.