HOAI bei Altverträgen – Mindestsätze auch zwischen Privatpersonen unwirksam?!
EuGH-Urteil zur HOAI: Mindestsätze zwischen Privatpersonen wirksam – Honorarnachforderungen sind möglich! 1. Ausgangssituation
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte mit Urteil vom 04. Juli 2019 – C-377/17 –entschieden, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Dienstleistungsrichtlinie verstoßen habe, dass sie verbindliche Honorarsätze für die Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren nach der HOAI beibehalten hat.
Nicht entschieden hatte der EuGH die Frage, ob bei Altverträgen zwischen Privatpersonen die in der HOAI enthaltenen Regelungen, wonach eine die verbindlichen Mindestsätze für Planungs- und Überwachungsleistungen unterschreitende Honorarvereinbarung in Verträgen mit Architekten oder Ingenieuren grundsätzlich unwirksam ist, nicht mehr anzuwenden sind.
Diese Frage hat der Bundesgerichtshof in seinem Vorlagebeschluss vom 14. Mai 2020 – VII ZR 174/19 – dem EuGH zur weiteren Beantwortung vorgelegt.
2. Entscheidung des EuGH vom 18. Januar 2022 (C-261/20)
Obwohl der Generalanwalt bei dem EuGH in seinen Schlussanträge vom 15. Juli 2021 hierzu die Auffassung vertreten hatte, dass ein nationales Gericht eine nationale Regelung, die Mindestsätze für Dienstleistungserbringer in einer Weise festlegt, die gegen die Dienstleistungsrichtlinie verstößt, unangewendet lassen muss, wenn es mit einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen über einen Anspruch befasst ist, der auf diese Regelung gestützt ist, hat der EuGH nun gegenteilig entschieden!
Die Entscheidung ist einigermaßen überraschend, weil der EuGH oftmals dem Antrag des Generalanwalts folgt.
Hiernach ist das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit anhängig ist, in dem sich ausschließlich Privatpersonen gegenüberstehen, nicht allein aufgrund von Unionsrecht verpflichtet ist, eine nationale Regelung unangewendet zu lassen, die – unter Verstoß gegen die Dienstleistungsrichtlinie – Mindesthonorare für die Leistungen von Architekten und Ingenieuren festsetzt und die Unwirksamkeit von Vereinbarungen vorsieht, die von dieser Regelung abweichen.
Zwar gelte der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts vor nationalem Recht. Jedoch sei die Union nur dort befugt, mit unmittelbarer Wirkung allgemein und abstrakt Verpflichtungen zulasten der Einzelnen anzuordnen, wo ihr die Befugnis zum Erlass von Verordnungen zugewiesen ist. Demgegenüber gestatte eine Bestimmung in einer Richtlinie, selbst wenn sie klar, genau und unbedingt ist – wie hier der Fall –, es dem nationalen Gericht nicht, eine dieser Bestimmung entgegenstehende Bestimmung nationalen Rechts auszuschließen, wenn aufgrund dessen einer Privatperson eine zusätzliche Verpflichtung auferlegt würde. Letzteres sei hier der Fall, weil bei unmittelbarer Anwendung der Dienstleistungsrichtlinie eine Berufung auf die Mindestsätze der HOAI ausgeschlossen wäre.
3. Auswirkungen in der Praxis
Aus dieser Entscheidung folgen erhebliche Auswirkungen für die Rechtspraxis, insbesondere für sogenannte „Aufstockungsfälle“. Hiervon sind Konstellationen umfasst, wonach Architekten in Altfällen nachträglich Honorar auf Basis der Mindestsätze der HOAI geltend machen, obwohl die Vertragsparteien eine Honorarvereinbarung geschlossen haben, die eine unter den Mindestsätzen der HOAI liegende Vergütung beinhaltet. Die nachträgliche Forderung eines (höheren) Honorars auf Basis der Mindestsätze der HOAI ist nach der zitierten Entscheidung grundsätzlich möglich.
Das praktische Problem besteht darin, dass die in der bis 31. Dezember 2020 gültigen Fassung der HOAI festgesetzten Mindestsätze nur in Ausnahmefällen durch schriftliche Vereinbarung unterschritten werden konnten (vgl. § 7 Abs. 3 HOAI a.F.)
Diese Problematik ist mit Einführung der neuen HOAI entfallen, wonach die Vertragsparteien Honorarvereinbarungen frei vereinbaren können (vgl. § 7 Abs. 1 S. 1 HOAI n.F.). Voraussetzung hierfür ist außerdem nicht mehr die Einhaltung der Schriftform; insoweit ist Textform (hierzu genügt gem. § 126b BGB auch der Austausch wechselseitiger E-Mails) ausreichend.
Der EuGH hat in seinem Urteil vom 18. Januar 2022 außerdem klargestellt, dass von nachträglichen Honorarforderungen betroffene Auftraggeber in Altfällen gegebenenfalls Schadensersatz von der Bundesrepublik Deutschland verlangen können, weil diese gegen Unionsrecht verstoßen hat (vgl. unter 1.). Dabei obliegt es grundsätzlich den nationalen Gerichten, die Voraussetzungen für die Haftung der jeweiligen Mitgliedstaaten für Schäden, die Privatperson durch Verstöße gegen das Unionsrecht entstanden sind, festzustellen.
Heidelberg, im Mai 2022
Herr Clemens Maurerist Rechtsanwalt bei GRÉUS Rechtsanwälte an unserem Standort in Heidelberg und seit 2015 Partner der Sozietät. Als Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht berät und vertritt er Mandanten in allen Fragen des privaten Baurechts sowie des Architekten- und Ingenieurrechts. Ein weiterer besonderer Schwerpunkt liegt in der Beratung und Vertretung von öffentlichen Auftraggebern in baurechtlichen und vergaberechtlichen Vorgängen.