Einheitspreisvertrag über Bauleistungen – Unwirksamkeit einer Vertragsstrafenklausel
1. Einheitspreisvertrag und Ausführungsfristen
Nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A (EU) sind für öffentliche Auftraggeber Bauaufträge so zu vergeben, dass die Vergütung nach Leistung bemessen wird und zwar in der Regel zu Einheitspreisen.
Weiterhin setzt § 9 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A (EU) voraus, dass in einem Bauvertrag Ausführungsfristen i. S. d. § 5 Abs. 1 VOB/B vereinbart werden. Nicht anderes sollten private Auftraggeber verfahren, denn Bauverträge stehen und fallen nicht selten mit der Frage, ob verbindliche Ausführungsfristen gem. § 5 Abs. 1 VOB/B vereinbart sind. Hierzu ist eine klare und zweifelsfreie Fristbestimmung erforderlich, wobei Bestimmbarkeit ausreichend ist. An einer Verbindlichkeit fehlt es bei Formulierungen, denen eine Unverbindlichkeit bereits sprachlich immanent ist, insbesondere sind Circa-Angaben nicht ausreichend (vgl. hierzu OLG Koblenz, Urteil vom 23. April 2013 – 3 U 838/12: „Arbeitsbeginn in ca. 4 Wochen").
Fehlt es an einer Ausführungsfrist, drohen dem Auftraggeber mehrere Nachteile, insbesondere kann der Auftraggeber den Auftragnehmer nur erschwert in Verzug setzen, wenn dieser die Bauleistung nicht rechtzeitig erbringt und nur unter erschwerten Voraussetzungen eine Kündigung wegen Verzugs androhen bzw. aussprechen (§ 5 Abs. 4 i.V.m. § 8 Abs. 3 VOB/B). Infolgedessen kann der Auftraggeber das Vertragsverhältnis mit einem nicht leistungsfähigen/nicht leistungswilligen Auftragnehmer nur mittels einer sogenannten freien Kündigung beenden, wodurch dem Auftraggeber die Möglichkeit genommen wird, Schadensersatz von dem Auftragnehmer zu verlangen und der Auftragnehmer grundsätzlich Anspruch auf die volle Vergütung (abzüglich ersparter Aufwendungen) hat.
2. Vertragsstrafe
Bei einer vereinbarten Ausführungsfrist ist es sinnvoll, bei von dem Auftragnehmer zu vertretender Fristüberschreitung zugleich eine Vertragsstrafe zu vereinbaren. Öffentliche Auftraggeber haben bei Vereinbarung einer Vertragsstrafe zwar § 9a VOB/A (EU) zu beachten, wonach Vertragsstrafen nur zu vereinbaren sind, wenn die Überschreitung von Ausführungsfristen erhebliche Nachteile verursachen kann. Allerdings steht öffentlichen Auftraggebern insoweit ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Ein Vermögensnachteil ist insoweit nicht erforderlich. Vielmehr ist es ausreichend, dass (lediglich) das öffentliche Interesse betroffen ist, beispielsweise das Interesse an einer möglichst kurzen Beeinträchtigung des Straßenverkehrs oder dem schnellstmöglichen (Wieder-)Betrieb öffentlicher Einrichtungen der Daseinsvorsorge. Zum anderen hat § 9a VOB/A – jedenfalls im unterschwelligen Bereich – keine vertragsgestaltende Wirkung, sodass ein Verstoß hiergegen die Vereinbarung einer Vertragsstrafe grundsätzlich nicht unwirksam macht (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 2006 – VII ZR 44/05; anders verhält es sich nur bei einer treuwidrigen Vorgehensweise des Auftraggebers).
Eine Höhe der Vertragsstrafe von 0,2 % je Kalendertag ist auch in einer AGB-Regelung wirksam. Außerdem ist die Vereinbarung einer Höchstgrenze von maximal 5 % erforderlich, weil die Regelung den Auftragnehmer ohne Vereinbarung einer solchen Höchstgrenze nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unangemessen benachteiligt (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 23. Januar 2003 – VII ZR 210/01, worin der BGH seine vormalige Rechtsprechung aufgegeben hat, wonach eine Höchstgrenze von 10 % für wirksam erachtet worden war).
Maßgeblich ist die mit der der Vertragsstrafe verfolgte Druckfunktion, den Auftragnehmer zur ordnungsgemäßen Erbringung seiner Leistungen anzuhalten. Zugleich soll sie den Auftraggeber in den Stand versetzen, sich bei Verletzung der sanktionierten Vertragspflichten jedenfalls bis zur Höhe der Vertragsstrafe ohne Einzelnachweis schadlos zu halten. Die Druckfunktion erlaubt dabei zwar durchaus eine spürbare Vertragsstrafe, es ist aber darauf zu achten, dass sich die Vertragsstrafe in wirtschaftlich vernünftigen Grenzen hält.
Nach diesem Maßstab ist eine Vertragsstrafe von über 5 % der Auftragssumme in AGB – jedenfalls nach der heutigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – zu hoch, weil der Auftragnehmer durch den Verlust von mehr als 5 % seines Vergütungsanspruchs in der Regel unangemessen belastet wird.
3. Bezugsgröße der Höchstgrenze
Nach diesem Sinn und Zweck einer Vertragsstrafe ist es folgerichtig, als Bezugsgröße für die vorgenannte Höchstgrenze die Abrechnungssumme in ihrer objektiv richtigen Höhe heranzuziehen. Denn die Höchstgrenze hat sich an dem tatsächlichen „Verdienst“ des Auftragnehmers zu orientieren. Diese orientiert sich bei einem Einheitspreisvertrag folglich an der in der Schlussrechnung abgerechneten (objektiv berechtigten) Vergütung und gerade nicht an einer Auftragssumme, die vor Ausführung des Vertrages auf Basis von zum damaligen Zeitpunkt nur geschätzten und aus diesem Grund „fiktiven“ Massen ermittelt worden war.
4. Entscheidung des BGH vom 15. Februar 2024 – VII ZR 42/22
Die Entscheidung hat eine Vertragsstrafenklausel zum Gegenstand, in der die Vertragsstrafe bei einem Einheitspreisvertrag auf insgesamt 5 % der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme (ohne Umsatzsteuer) begrenzt worden war.
Ausgehend von den oben genannten Grundsätzen hat der Bundesgerichtshof diese Klausel wegen eines Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 S. 1 BGB für unangemessenen benachteiligend und damit für unwirksam erachtet.
Entscheidend ist insoweit, dass bei einem Einheitspreisvertrag – insbesondere durch Verringerung der tatsächlich ausgeführten gegenüber den bei Vertragsschluss zugrunde gelegten Massen – eine nachträgliche Absenkung des ursprünglichen (lediglich geschätzten) Auftragsvolumens eintreten kann. Dieses kann dazu führen, dass die vom Auftragnehmer zu erbringende Strafzahlung die Grenze von 5 % seines Vergütungsanspruchs (unter Umständen erheblich) übersteigt.
Auch die Erwägung des Berufungsgerichts, es bestehe „ein praktisches Bedürfnis“ für die Anknüpfung an die im Vertrag vereinbarte Auftragssumme, ließ der BGH nicht gelten. Insbesondere sei nicht maßgeblich, dass im Zeitpunkt der Auftragserteilung die endgültige Abrechnungssumme noch nicht feststehe. Dieses begründe nicht die Gefahr, dass eine Regelung unklar sei, die auf die endgültige Vergütung abstellt, weil sie Auslegungsspielräume dafür eröffne, was zur späteren Abrechnungssumme gehöre. Den Parteien sei bei Vereinbarung eines Prozentsatzes im Gegensatz zu einem festen Betrag bewusst, dass die Höhe der Vertragsstrafe kein feststehender Betrag sei. Streit darüber, welche Vergütung der Auftragnehmer zu Recht beanspruchen kann, müsse gegebenenfalls gerichtlich geklärt werden.
5. Auswirkungen in der Praxis
Zunächst sollte der Auftraggeber bei Einheitspreisverträgen darauf achten, dass sich die Bezugsgröße für die Vertragsstrafe auf die Nettoauftragssumme bezieht, die in der Schlussrechnung berechtigterweise abgerechnet wird. In einer Klausel sollte aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit folglich von vornherein „die berechtigte Schlussrechnungsforderung ohne Umsatzsteuer“ anstatt „die Nettoauftragssumme“ als Bezugsgröße festgeschrieben werden, weil der Begriff „Nettoauftragssumme“ nicht eindeutig ist und somit Streitpotenzial beinhaltet.
Weitere Auswirkungen ergeben sich bei Geltendmachung einer Vertragsstrafe bei Überschreitung von Einzelfristen (Zwischenfristen). Denn um den Druck auf einen mit Einzelfristen bzw. Zwischenfristen in Verzug geratenen Auftragnehmer zu erhöhen, kann es sich anbieten, die Vertragsstrafe bereits bei Abschlagsrechnungen in Abzug zu bringen. Dieses ist aufgrund der Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht mehr ohne weiteres möglich, weil die Bezugsgröße des Abzugs zu diesem Zeitpunkt noch unbekannt ist. Jedenfalls bestehen insoweit Risiken für den Auftraggeber. Auftraggeber können diesen Risiken nur dadurch entgehen, indem auch für diesen Fall eine vertragliche Vereinbarung getroffen wird. Diese kann beispielsweise dahin lauten, dass Bezugsgröße für die Vertragsstrafe bei Überschreitung von Einzelfristen bzw. Zwischenfristen – vorläufig – die Nettoauftragssumme im Zeitpunkt der Auftragserteilung ist. Eine solche Regelung bedarf zwingend des Zusatzes, dass sich die Höchstgrenze der Vertragsstrafe im Ergebnis an der (berechtigten) Schlussrechnungsforderung ohne Umsatzsteuer bemisst, wodurch ein ausreichendes Korrektiv geschaffen wird, um eine unangemessene Benachteiligung des Auftragnehmers auszuschließen.
Wie bisher, bleibt es im Übrigen bei dem Erfordernis, dass der Auftraggeber den Vorbehalt der Vertragsstrafe grundsätzlich bei Abnahme erklären muss (vgl. § 341 Abs. 3 BGB). Erklärt der Auftraggeber diesen Vorbehalt bei Abnahme nicht, hat er grundsätzlich keinen Anspruch auf die Vertragsstrafe. In diesem Zusammenhang ist außerdem darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Vorbehaltserklärung um ein einseitiges Rechtsgeschäft i. S. d. § 180 BGB handelt, sodass der Auftragnehmer die Erklärung eines Nichtbevollmächtigten gemäß § 174 S. 1 BGB zurückweisen kann. Hierzu ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass der Architekt, dessen Vollmacht für rechtsgeschäftliche Handlungen zum Schutz des Auftraggebers sinnvollerweise von vornherein (aus anderen Gründen) vertraglich ausgeschlossen werden sollte, grundsätzlich (insbesondere bei Ausschluss einer Vertretungsmacht) nicht bevollmächtigt ist, den Vorbehalt zu erklären. Da der Vorbehalt keiner bestimmten Form bedarf, kommt zwar theoretisch eine mündliche Erklärung in Betracht. Aus Sicherheitsgründen sollte der Vorbehalt jedoch unbedingt im Abnahmeprotokoll verschriftlicht werden.
Eine Ausnahme von dem Erfordernis, den Vorbehalt bei der Abnahme zu erklären, hat der Bundesgerichtshof für den Fall anerkannt, in dem der Auftraggeber mit einem bereits entstandenen Anspruch auf Vertragsstrafe die Aufrechnung erklärt (vgl. BGH, Urteil vom 5. November 2015 – VII ZR 43/15). Dieses dürfte vor allem in Fällen der (außerordentlichen) Kündigung in Betracht kommen.
Der Erklärung eines Vorbehalts bei der Abnahme bedarf es außerdem dann nicht, wenn die Vertragsparteien vertraglich vereinbart haben, dass der Vorbehalt der Vertragsstrafe erst bei Fälligkeit der Schlussrechnungsforderung erklärt werden muss, was zulässig ist und wovon Auftraggeber Gebrauch machen sollten (so bereits BGH, Beschluss vom 13. Juli 2000 – VII ZR 249/99).
Heidelberg, im Juli 2024
Herr Clemens Maurer ist Rechtsanwalt bei GRÉUS Rechtsanwälte an unserem Standort in Heidelberg und seit 2015 Partner der Sozietät. Als Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht berät und vertritt er Mandanten in allen Fragen des privaten Baurechts sowie des Architekten- und Ingenieurrechts. Ein weiterer besonderer Schwerpunkt liegt in der Beratung und Vertretung von öffentlichen Auftraggebern in baurechtlichen und vergaberechtlichen Vorgängen.