Bieterausschluss bei Schlechtleistung
Ausgangsituation:
124 Abs. 1 Nr. 7 GWB ermöglicht dem Auftraggeber unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, ein Unternehmen von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren auszuschließen, das eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags oder Konzessionsvertrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt hat und dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat.
Es handelt sich dabei um einen sogenannten fakultativen Ausschlussgrund, bei dem der öffentliche Auftraggeber folglich eine Einzelfallbetrachtung vornehmen und – bestenfalls nach außen erkennbar – Ermessen ausüben muss, bevor dieser einen Bieter ausschließt.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser unmittelbar nur im oberwelligen Bereich anwendbaren Vorschrift sind im unterschwelligen Bereich über § 16b VOB/A entsprechend heranzuziehen.
1. Prüfungsmaßstab
Im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB ist zwar nicht abschließend geklärt, welcher Prüfungsmaßstab bzw. welches Beweismaß für das Vorliegen der Voraussetzungen anzulegen sind. Einigkeit besteht in der Rechtsprechung jedenfalls dahingehend, dass diese nicht unstreitig oder rechtskräftig festgestellt sein müssen.
Nach Auffassung des OLG Celle gilt insoweit ein Beweismaß, das zwischen einer überwie-genden Wahrscheinlichkeit gemäß § 287 ZPO und dem Vollbeweis gemäß § 286 ZPO liegt. Hiernach ist erforderlich, aber auch ausreichend, dass der öffentliche Auftraggeber Indiztat-sachen von einigem Gewicht vorbringt, die auf gesicherten Erkenntnissen aus seriösen Quel-len beruhen und die die Entscheidung des Auftraggebers zum Ausschluss des Bieters nach-vollziehbar erscheinen lassen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 9. Januar 2017, 13 Verg 9/16).
Das OLG Düsseldorf vertritt demgegenüber die Auffassung, der öffentliche Auftraggeber müsse – in Anlehnung an § 286 ZPO – von den tatbestandlichen Voraussetzungen Gewissheit erlangt haben, also eine Überzeugung gewonnen haben, die vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11. Juli 2018 – VII-Verg 7/18).
Aufgrund des das Vergabeverfahren prägenden Beschleunigungsgrundsatzes erscheint die Auffassung des OLG Celle vorzugswürdig.
Für das von dem OLG Celle angenommene Beweismaß hat sich auch die Vergabekammer Sachsen-Anhalt für den unterschwelligen Bereich ausgesprochen, deren Zuständigkeit durch das Landesvergabegesetz Sachsen-Anhalt gegeben war. Hiernach reicht es aus, wenn die maßgeblichen Umstände auf gesicherten Erkenntnissen der Vergabestelle beruhen, wobei auch Verdachtsmomente, die für eine Unzuverlässigkeit des Bieters sprechen, den Ausschluss der Eignung begründen können, wenn die den Verdacht begründenden Informationen aus einer sicheren Quelle stammen und eine gewisse Erhärtung erfahren haben (vgl. VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21. August 2017 – 3 VK LSA 61/17). Diese Tendenz setzt sich in einer Entscheidung der Vergabekammer Rheinland fort, wonach bezüglich der Tatbestandsvoraussetzungen keine förmliche Beweisaufnahme im Nachprüfungsverfahren angebracht ist, weil der Auftraggeber zu einer solchen in der Regel weder tatsächlich noch rechtlich in der Lage ist. Maßgeblich ist hiernach allein, was eine verständige Vergabestelle den Akten entnehmen kann oder ihr sonst bekannt ist (vgl. Vergabekammer Rheinland, Beschluss vom 29. April 2024 – VK 40/23 – B).
Der Auftraggeber, der sich auf § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB berufen möchte, tut jedenfalls gut daran, bei Ermittlung und Dokumentation des maßgeblichen Sachverhalts aus dem anderen öffentlichen Auftragsverhältnis größtmögliche Sorgfalt walten zu lassen.
2. Vormalige Pflichtverletzung
Der Begriff der mangelhaften Erfüllung im Sinne des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB ist nicht streng zivilrechtlich zu interpretieren. Erfasst sind sowohl vertragliche Haupt- als auch Nebenpflichten. Er ist umfassend im Sinne einer nicht vertragsgerechten Erfüllung zu verstehen, wobei alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen und eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen sind.
Die mangelhafte Vertragserfüllung muss außerdem eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags betreffen. Entscheidend für das Merkmal der „Wesentlichkeit“ ist die Bedeutung der vertraglichen Anforderung für den öffentlichen Auftraggeber und welche Auswirkungen die mangelhafte Leistung auf das Auftragsverhältnis hat. Für eine erheblich mangelhafte Vertragserfüllung ist in der Regel zu fordern, dass der Auftragnehmer den Mangel allein oder überwiegend verursacht hat (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11. Juli 2018 – VII-Verg 7/18).
Die mangelhafte Erfüllung in dem früheren öffentlichen Auftrag wird sich regelmäßig auf die Ausführungsphase beziehen. Da jedoch bereits die Verletzung vertraglicher Nebenpflichten ausreichen kann, kommt auch eine mangelhafte Erfüllung im Rahmen der Abrechnungsphase in Betracht. Vertragliche Pflichten gelten insbesondere dann als mangelhaft erfüllt, wenn der Auftragnehmer Abschlagszahlungen für Leistungen verlangt, die dieser tatsächlich nicht ausgeführt hat – eine Konstellation, die in der Praxis nicht selten vorkommt. Eine mangelhafte Erfüllung der vertraglichen Pflichten mit der Konsequenz eines Bieterausschlusses kann folglich auch in einem fehlerhaften Aufmaß und sogar bei einem nicht genehmigten Einsatz eines Nachunternehmers in einem früheren öffentlichen Auftragsverhältnis liegen (vgl. BKartA Bonn, Beschluss vom 19. August 2020 – VK 2 - 59/20)
3. Eingetretene Rechtsfolge
Als (in dem früheren öffentlichen Auftragsverhältnis) eingetretene Rechtsfolge nennt § 127 Abs. 1 Nr. 7 GWB
- eine vorzeitige Beendigung;
- Schadensersatz;
- oder eine vergleichbare Rechtsfolge.
a)
Das Auftragsverhältnis ist vorzeitig beendet, wenn der öffentliche Auftraggeber es durch außerordentliche Kündigung oder Rücktritt aufgelöst hat. Im Einzelfall kommt allerdings auch eine einvernehmliche Aufhebung des Auftragsverhältnisses in Betracht, wenn diese kausal auf der mangelhaften Leistungserbringung beruht; aus diesem Grund ist Auftraggebern anzuraten, einen solchen Sachverhalt ausdrücklich in der Aufhebungsvereinbarung festzuhalten.
Eine Beendigung des Auftragsverhältnisses durch den Auftragnehmer oder Schadensersatzansprüche, die der Auftragnehmer stellt, genügen demgegenüber ebenso wenig wie eine ordentliche Kündigung des Auftraggebers, weil diese jeweils nicht auf einer Pflichtverletzung des Auftragnehmers beruhen.
b)
In Bezug auf Schadensersatz ist es nicht erforderlich, dass der Auftragnehmer tatsächlich Schadensersatz geleistet hat. Ausreichend ist ein einseitiges Verlangen des Auftraggebers, Schadensersatz an diesen zu leisten. Hierzu ist es nicht erforderlich, dass das Vertragsverhältnis beendet wurde. Voraussetzung ist jedoch, dass von dem Bestehen eines Schadensersatzanspruchs des Auftraggebers nach Anlegung des unter 1. aufgezeigten Prüfungsmaßstabs auszugehen ist.
c)
Schwieriger zu beantworten ist die Frage, was unter einer „vergleichbaren Rechtsfolge“ im Sinne des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB zu verstehen ist. Diese muss hinsichtlich ihres Schweregrades mit einer vorzeitigen Beendigung oder Schadensersatz vergleichbar sein. Als vergleichbare Rechtsfolge kommen folglich insbesondere eine Ersatzvornahme nach erfolgloser Fristsetzung und eine Minderung der Vergütung in Betracht.
Darüber hinausgehend hat die Vergabekammer des Bundes unlängst entschieden, dass eine „vergleichbare Rechtsfolge“ auch dann vorliegt, wenn der Auftraggeber „umfangreiche Nachbesserung“ verlangt (vgl. BKartA Bonn, Beschluss vom 29. Februar 2024 – VK 1 - 12/24). Hiernach kommt es folglich nicht auf die tatsächliche Durchführung der Ersatzvornahme und/oder die Höhe der hierbei entstandenen Kosten an, was für Auftraggeber, die den Ausschluss eines Bieters in Erwägung ziehen, im Einzelfall eine erhebliche Vereinfachung darstellen kann.
3. Unzuverlässigkeit/Ermessensentscheidung/Verhältnismäßigkeit
Da es sich bei allen in § 124 GWB genannten Ausschlussgründen um sogenannte fakultative Ausschlussgründe handelt, also solche, bei deren Vorliegen ein Bieter – im Gegensatz zu den zwingenden Ausschlussgründen nach § 123 GWB – nicht automatisch ausgeschlossen werden muss, ist der Auftraggeber verpflichtet, unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine Ermessensentscheidung zu treffen.
Hat der Auftragnehmer (in dem früheren öffentlichen Auftragsverhältnis) beispielsweise
- einen schwerwiegenden Mangel verursacht;
- mehrere Mängel, die in ihrer Gesamtheit einem schwerwiegenden Mangel gleichstehen, verursacht;
- und/oder solche Mängel trotz (gegebenenfalls wiederholter) Aufforderungen des Auftraggebers (gegebenenfalls über einen längeren Zeitraum) nicht beseitigt;
so lassen diese Umstände einzeln oder in ihrer Gesamtschau im Einzelfall den Rückschluss auf Unzuverlässigkeit des Auftragnehmers und damit die Prognose zu, dass von diesem auch in dem abzuschließenden Vertragsverhältnis eine einwandfreie, sorgfältige und vertragsgemäße Auftragsdurchführung nicht zu erwarten ist.
Sofern kein milderes Mittel existiert, ist ein Ausschluss eines solchen Bieters aus einem Vergabeverfahren im Einzelfall ermessensfehlerfrei.
4. Handlungsmöglichkeiten des Bieters
Der gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB zu Recht ausgeschlossene Bieter hat bezüglich künftiger Vergabeverfahren nur eine Möglichkeit – den „Gang nach Canossa“ in Form der Durchführung von Selbstreinigungsmaßnahmen nach § 125 GWB.
Auftraggeber werden nach Vornahme einer Selbstreinigung genau darauf zu achten haben, ob die vorgelegten Nachweise geeignet sind, um von einem „gereinigten Bieter“ ausgehen zu können. Dabei ist ein besonderes Augenmerk auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 125 Abs. 1 Nr. 3 GWB zu legen, wonach betroffene Bieter konkrete technische, organisatorische und personelle (Präventiv-)Maßnahmen zur Verhinderung künftiger Verfehlungen ergriffen haben müssen – ob dieses tatsächlich der Fall ist, gilt es im Einzelfall genau zu bewerten.
5. Auswirkungen in der Praxis
Auftraggeber sollten die Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB sorgfältig prüfen und insbesondere die maßgeblichen Ermessenserwägungen vor Ausspruch des Angebotsausschlusses – spätestens bei Ausschluss – in der Vergabeakte dokumentieren. Dieses ist vor allem deshalb erforderlich, weil ausgeschlossene (bestplatzierte) Bieter im Einzelfall voraussehbar anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen werden, sodass der Ausschluss einer juristischen Prüfung standhalten muss. Andernfalls drohen (oberschwellig) Nachprüfungsantrag vor der Vergabekammer oder (unterschwellig) Antrag auf Erlass einer einstweiligen einstweilige Verfügung vor den Zivilgerichten. Dem kann der Auftraggeberin ausschließlich im unterschwelligen Bereich durch Hinterlegung einer Schutzschrift im Zentralen Schutzschriftenregister präventiv begegnen.
Auftraggeber werden sich künftig außerdem besser vernetzen müssen, um betroffene Bieter bereits vor Erteilung des Zuschlags erkennen zu können. Die Erfahrung zeigt, dass diese Vernetzung noch nicht in erforderlichem Maß vorhanden ist. Die Ergebnisse hiervon sind für Auftraggeber unerfreulich: Diese leiden im Einzelfall unter schlechtleistenden Auftragnehmern, die durch ihre Vorgehensweise die wesentlichen Zielsetzungen des Vergaberechts in Form eines sowohl sparsamen als auch effektiven Mitteleinsatzes konterkarieren. Denn insbesondere in größeren Bauvorhaben, in denen ein reibungsloses Ineinandergreifen mehrerer Gewerke zwingend erforderlich ist, um einen planmäßigen Abschluss des Bauvorhabens innerhalb des bereitgestellten Kostenrahmens zu erzielen, bleibt Auftraggebern als einziger Ausweg nicht selten nur die außerordentliche Kündigung, verbunden mit dem Erfordernis, ad hoc (gegebenenfalls nach erneuter Durchführung eines Vergabeverfahrens) einen Ersatzunternehmer zu beauftragen. Neben dem hiermit verbundenen Zeitverlust bedeutet dieses in der Regel erhebliche Mehrkosten im Vergleich zu dem ursprünglichen Budget, wodurch letztlich auch die Allgemeinheit beeinträchtigt wird; der Auf- und Ausbau einer Vernetzung von Auftraggebern auf kommunaler, regionaler, Landes- und Bundesebene erscheint daher zwingend erforderlich.
Heidelberg, im Juni 2025
Herr Clemens Maurer ist Rechtsanwalt bei GRÉUS Rechtsanwälte an unserem Standort in Heidelberg und seit 2015 Partner der Sozietät. Als Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht und Fachanwalt für Vergaberecht berät und vertritt er Mandanten in allen Fragen des privaten Baurechts, des Architekten- und Ingenieurrechts sowie des Vergaberechts. Ein besonderer Schwerpunkt liegt in der Beratung und Vertretung von öffentlichen Auftraggebern in baurechtlichen und vergaberechtlichen Vorgängen.