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Erleichterte Kündigungsmöglichkeit für AG während der Bauphase!

1. Ausgangs­si­tuation

Gerät der Auftrag­nehmer bereits mit dem Beginn der Ausführung in Verzug, besteht für den Auftrag­geber die Möglichkeit, den Bauvertrag zu kündigen (§ 8 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 5 Abs. 4 1. Variante VOB/B). Hierbei handelt es sich von den 3 (außer­or­dent­lichen) Kündi­gungs­gründen in § 5 Abs. 4 VOB/B um denje­nigen Kündi­gungs­grund mit den geringsten Voraus­set­zungen. Aller­dings muss die Kündi­gungs­er­klärung in unmit­tel­barem zeitlichem Zusam­menhang mit dem Verzug des Auftrag­nehmers erfolgen, sodass der Auftrag­geber die Entscheidung zügig treffen muss. Hiermit dürfte sich der Auftrag­geber oftmals schwertun: Denn einem Auftrag­nehmer noch vor dem Beginn der Bauaus­führung den Auftrag zu entziehen, bedeutet, dass die Baustelle zunächst vollständig oder teilweise still­steht. Die Hemmschwelle wird insbe­sondere dann hoch sein, wenn es sich hierbei um ein sogenanntes „Schlüs­sel­gewerk“ handelt.

Eine derartige Kündigung wird für den Auftrag­geber daher nur dann ernsthaft in Erwägung zu ziehen sein, wenn ein leistungs­fä­higer Nachun­ter­nehmer bereits bereit­steht, was jedoch in der Praxis kaum der Fall sein dürfte. Ein öffent­licher Auftrag­geber unter­liegt zudem auch im Fall einer außer­or­dent­lichen Kündigung eines Bauver­trags grund­sätzlich den verga­be­recht­lichen Beschrän­kungen der VOB/A (EU), weil diese den öffent­lichen Auftrag­geber jeden­falls nicht ohne Weiteres von der Pflicht zur Vergabe der Restleis­tungen im Wege eines förmlichen Verga­be­ver­fahrens entbindet (vgl. insoweit aller­dings § 3a Abs. 3 Nr. 2 VOB/A, wonach eine freihändige Vergabe zulässig ist, wenn die Leistung besonders dringlich ist. Besondere Dring­lichkeit kommt zwar bei einer solchen Kündigung des bishe­rigen Bauver­trags in Betracht, ist jedoch nicht automa­tisch anzunehmen, sondern im jewei­ligen Einzelfall zu prüfen und anhand des geplanten Bauab­laufs konkret zu begründen, wobei die Gründe wiederum genau zu dokumen­tieren sind).

Rechtlich schwie­riger stellt sich eine Kündigung während der Bauphase dar, insbe­sondere dann, wenn Einzel­fristen nicht als Vertrags­fristen vereinbart sind und nur ein Fertig­stel­lungs­termin vereinbart ist. In diesen Fällen ist der Auftrag­geber oftmals in einer Situation, in der zwar Anhalts­punkte dafür bestehen, dass der Auftrag­nehmer die verein­barte Frist zur Fertig­stellung nicht einhalten können wird, dieses jedoch nicht sicher festge­stellt werden kann. Mit anderen Worten: Der Auftrag­geber muss insoweit eine Prognose anstellen, die – in der Natur der Sache liegend – nicht selten mit erheb­lichen Unsicher­heiten und damit mit Risiken behaftet ist. Der Auftrag­geber trägt somit das sogenannte Progno­se­risiko. Fraglich ist aller­dings, in welchem Umfang dieses den Auftrag­geber belastet.

Das OLG Köln hatte hierzu mit Urteil vom 28. Juni 2006 – 11 U 48/04 – entschieden, dass ein Kündi­gungs­recht nur dann besteht, wenn feststehe oder zumindest mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit anzunehmen sei, dass der Auftrag­nehmer einen Vertrags­termin aus von ihm zu vertre­tenden Gründen nicht einhalten können wird und ein Festhalten an dem Vertrag aus diesem Grund für den Auftrag­geber unzumutbar ist. Hierzu sei der Auftrag­geber gehalten, zwingende Gründe vorzu­tragen, weshalb der verein­barte Vertrags­termin nicht einge­halten werden könne.

In einer beacht­lichen Entscheidung hat das Oberlan­des­ge­richt Karlsruhe diese hohen Hürden für den Auftrag­geber nun abgesenkt.

2. Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 13. Dezember 2021 – 4 U 112/18

Das Oberlan­des­ge­richt Karlsruhe hatte eine Konstel­lation zu entscheiden, in der der Auftrag­geber gerade keine zwingenden Gründe vortragen konnte, aufgrund derer feststand oder zumindest mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit anzunehmen war, dass der Auftrag­nehmer einen Vertrags­termin nicht einhalten können wird.

Gleichwohl hielt das Oberlan­des­ge­richt Karlsruhe die außer­or­dent­liche Kündigung des Auftrag­gebers für wirksam.

Denn der Auftrag­geber könne bei der vorzu­neh­menden Prognose, ob es dem Auftrag­nehmer noch gelingen wird, den Auftrag frist­ge­recht auszu­führen, nur auf die für den Auftrag­geber ex ante erkenn­baren objek­tiven Umstände abstellen und nicht auf Verspre­chungen des in Verzug geratenen Auftrag­nehmers oder auf von ihm entfaltete Hinter­grund­ak­ti­vi­täten, die für den Auftrag­geber nicht erkennbar sind. Im Zweifel seien die in der Vergan­genheit zutage getre­tenen perso­nellen und sachlichen Kapazi­täten des Auftrag­nehmers und die von ihm bislang gezeigte (zöger­liche) Arbeits­weise auf die Zukunft zu übertragen. Insoweit müsse der Auftrag­geber die Frage stellen, ob dann, wenn keine objek­tiven Verbes­se­rungen erkennbar sind, der Auftrag­nehmer bei Fortführung seiner bishe­rigen Bemühungen in gleicher Inten­sität den Auftrag frist­ge­recht vollenden können wird.

Seien Zwischen­fristen aus einem vertrag­lichen oder internen Bauzei­tenplan vom Auftrag­nehmer bereits überschritten, bestehe außerdem eine tatsäch­liche Vermutung dafür, dass aus gegen­wär­tiger Sicht auch eine Überschreitung der Fertig­stel­lungs­frist zu erwarten sei.

Etwaige vom Auftrag­nehmer nachträglich in den Raum gestellte Material- bzw. Perso­nal­auf­sto­ckungs­mög­lich­keiten zu wider­legen, könne dem Auftrag­geber im Schadenser­satz­prozess nach § 8 Abs. 3 VOB/B demge­genüber nicht abver­langt werden.

Der Bundes­ge­richtshof hat die Nicht­zu­las­sungs­be­schwerde des Auftrag­nehmers gegen dieses Urteil mit Beschluss vom 21. September 2022 – VII. ZR 14/22 – zurück­ge­wiesen.

3. Auswir­kungen für die Praxis

Im Ergebnis wird hierdurch das Progno­se­risiko des Auftrag­gebers in Fällen unzurei­chender Leistungs­er­bringung durch den Auftrag­nehmer während der Bauphase reduziert. Hiernach kommt es im Rahmen der Prognose, ob der Auftrag­nehmer Vertrags­fristen, insbe­sondere Fertig­stel­lungs­fristen, einhalten können wird, auf die für den Auftrag­geber ex ante erkenn­baren objek­tiven Umstände an. Bestehen tatsäch­liche zurei­chende Anhalts­punkte dafür, dass der Auftrag­nehmer Vertrags­fristen nicht einhalten wird, kann der Auftrag­geber mit gerin­gerem Risiko eine außer­or­dent­liche Kündigung aussprechen.

Die Entscheidung des OLG Karlsruhe ist mit weiteren Entschei­dungen in Zusam­menhang zu sehen.

Das Hansea­ti­sches Oberlan­des­ge­richt in Bremen hat mit Urteil vom 20. Dezember 2019 – 2 U 50/18 – entschieden, dass jede Verlän­gerung der Ausfüh­rungs­frist nach dem Kalender bestimmte Vertrags­fristen entfallen lasse, so dass für die Herbei­führung des Verzugs (während der Bauphase) gem. § 286 Abs. 1 BGB eine Mahnung des Auftrag­gebers erfor­derlich ist.

Nach einer Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts des Landes Sachsen-Anhalt vom 9. Dezember 2021 – 2 U 16/21 – besteht weiterhin die Möglichkeit, eine außer­or­dent­liche Kündigung wegen Verzugs mit Teilleis­tungen auszu­sprechen. Hiernach kann eine außer­or­dent­liche Kündigung auch auf die Versäumung der Frist und einer angemes­senen Nachfrist zur Erbringung von Teilleis­tungen nach Auffor­derung zur Abhilfe i.S.v. § 5 Abs. 3 VOB/B gestützt werden. Erfor­derlich ist insoweit, dass es sich um eine für den Baufort­schritt wesent­liche Teilleistung handelt.

Auftrag­geber haben somit die Möglichkeit, bei Ausbleiben der Leistung eines Auftrag­nehmers mit Frist­set­zungen, Nachfrist­set­zungen und Mahnungen zu arbeiten. Diese Vorgänge sind zu dokumen­tieren und deren Zugang beim Auftrag­nehmer ist sicher­zu­stellen. Frist­set­zungen, Nachfrist­set­zungen und Mahnungen können sich auch auf (für den Baufort­schritt wesent­liche) Teilleis­tungen beziehen. Reagiert der Auftrag­nehmer hierauf nicht oder nur unzurei­chend, kann dieses Verhalten entweder bereits für sich genommen einen Kündi­gungs­grund bilden und/oder – jeden­falls – die Grundlage für die von dem Auftrag­geber vorzu­neh­mende Prognose und damit einen Anknüp­fungs­punkt für eine außer­or­dent­liche Kündigung bilden.

Heidelberg, im Januar 2023

Herr Clemens Maurer ist Rechts­anwalt bei GRÉUS Rechts­an­wälte an unserem Standort in Heidelberg und seit 2015 Partner der Sozietät. Als Fachanwalt für Bau- und Archi­tek­ten­recht berät und vertritt er Mandanten in allen Fragen des privaten Baurechts sowie des Archi­tekten- und Ingenieur­rechts. Ein weiterer beson­derer Schwer­punkt liegt in der Beratung und Vertretung von öffent­lichen Auftrag­gebern.

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