Schadenersatz nach Open-House-Beschaffung von FFP2-Masken auf Grund öffentlichen Preisrechts teilweise gekürzt!
Beitrag zur Entscheidung des OLG Köln, Urteil vom 15. Mai 2025 – Az.: 18 U 97/23
1. Ausgangssituation
Die Verordnung PR Nr. 30/53 (nachf. VO PR 30/53) über die Preise bei öffentlichen Aufträgen ist seit ihrer Einführung eine der zentralen Rechtsquellen zur Überprüfung von Preisen, die öffentliche Auftraggeber für Lieferungen, Dienstleistungen und Bauleistungen vereinbaren. Die Verordnung gilt grundsätzlich für alle öffentlichen Aufträge des Bundes, der Länder und der Kommunen. Obwohl sie jüngst, insbesondere zum 1. April 2022, eine Überarbeitung erfahren hat, bleibt ihre Zielsetzung unverändert und ihre Anwendung auf viele Altverträge – wie im Falle des viel diskutierten Entscheidung des OLG Köln (OLG Köln, Urteil vom 15. Mai 2025 – Az.: 18 U 97/23) zur FFP2-Masken-Beschaffung im sog. Open-House-Verfahren aus dem Jahr 2020 – nach wie vor relevant.
2. Entscheidung des OLG Köln, Urteil vom 15. Mai 2025 – Az.: 18 U 97/23
In der vorzitierten Entscheidung zieht das OLG Köln die VO PR 30/53, um dem Schadenersatzanspruch des Klägers über den entgangenen Gewinn eines Beschaffungsvorgangs über 4 Millionen FFP2-Masken auf netto 258.000,00 € zu beziffern. Diesen Schadenersatz ermittelt das OLG Köln entlang eines kalkulatorischen Gewinns in Höhe von 5 % nach Maßgabe der sog. LSP (den Leitsätzen für die Preisermittlung auf Grund von Selbstkosten), d.h. eines sog. Selbstkostenpreises.
Interessant sind die Ausführungen uns Feststellungen des OLG Köln zu den preisrechtlichen Grundsätzen – hier dem sog. Marktpreisvorrang (§ 1 Abs. 1 VO PR 30/53), als Teil der preisbildungsrechtlichen Prüfhierarchie (sog. Preistreppe).
Vorrangig und nach den Prämissen der Marktpreise zu prüfen sind, marktgängige Leistungen, für die der betriebssubjektive verkehrsübliche Preis den preisbildungsrechtlich zulässigen Höchstpreis darstellt. Dieser betriebssubjektive Marktpreis des Anbietenden ist der Preis, der sich unter wettbewerblichen Bedingungen (entweder auf dem allgemeinen oder dem besonderen Markt) herausgebildet hat. Lässt sich dieser betriebssubjektive Marktpreis nicht feststellen – etwa aufgrund fehlenden Wettbewerbs – muss hilfsweise auf den Selbstkostenpreis zurückgegriffen werden. Dieser Preis basiert auf den tatsächlich angefallenen, angemessenen Selbstkosten des Auftragnehmers zuzüglich eines angemessenen Gewinns. Die Details zur Ermittlung dieser Kosten und Gewinne werden durch die Leitsätze für die Preisermittlung aufgrund von Selbstkosten (LSP) bestimmt, die als Anlage zur PreisV ergangen sind.
Eingedenk der besonderen Beschaffungssituation, die zur Wahl eines sog. Open-House-Verfahrens führte, prüft das OLG Köln das Vorliegen eines besonderen Marktes gem. § 4 Abs. 2 PreisVO / § 4 Abs. 1 PreisVO a.F., d.h. eines Marktes, der durch ein Ausschreibungsverfahren geschaffen wurde. Ein besonderer Markt i.S.d. VO PR 30 / 53 setzt voraus, dass mindestens zwei zuschlagsfähige Angebote abgegeben wurden, die zueinander im echten Wettbewerb stehen. Bei einem Open-House-Verfahren scheint ein solcher „echte Wettbewerb“ eher fernliegend – hieran ändert auch die das Ergebnis, dass ein Wettbewerbsaufruf zur Abgabe eines Angebotes im Open-House-Verfahren im vorliegenden Fall als sog. „invitatio ad offerendum“ angesehen wurde. Wird ein preisrechtlich besonderer Markt – mangels echten Wettbewerbs – abgelehnt, folgt nicht, dass der bezuschlagte Preis dem Prüfregime der VO PR 30 / 53 entzogen wäre. Hieraus folgt zunächst nur, dass kein Marktpreis auf dem „besonderen Markt“ vorliegt, sodass dieser Vorgang nach den Selbstkostenpreisen zu bewerten wäre, wenn kein (sonstiger) vorrangiger betriebssubjektiver Marktpreis festzustellen ist.
Hierzu stellt das OLG Köln fest, dass zwar eine marktgängige Leistung auf dem allgemeinen Markt vorliegt (OLG Köln, aaO, Rz.166), aber kein verkehrsüblicher Preis auf dem allgemeinen Markt nachgewiesen werden kann, weil der Newcomer (wohl) keine Absätze des Produktes auf dem allgemeinen Markt für diese marktgängige Leistung vorgewiesen habe (OLG Köln, aaO, Rz.163). Begründet wird diese Feststellung damit, dass es sich bei dem Anbieter um einen Newcomer handele, der erstmalig Schutzmasken angeboten habe (OLG Köln, aaO, Rz.165).
3. Stellungnahme
Vor dem Hintergrund der weiteren Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil v. 13. April 2016 – Az.: 8 C 2.15) zur Marktpreisprüfung von Newcomer-Produkten, scheint die Entscheidung des OLG Köln auf tönernen Füßen zu ruhen. So hatte das Bundesverwaltungsgericht entschieden:
„Den verkehrsüblichen Preis auf unvollkommenen Märkten im Sinne des betriebssubjektiven Marktpreises zu konkretisieren, schließt weder die Feststellung eines Marktpreises bei erstmaligem Umsatz der Leistung durch einen neuen Anbieter auf dem Markt ("Newcomer") aus noch greift es unzulässig in die grundrechtlich geschützte Freiheit zur wirtschaftlichen Betätigung gemäß Art. 12 Abs. 1 oder Art. 2 Abs. 1 GG ein, […]. Setzt ein neuer Anbieter die Leistung erstmals um, kann die Preisprüfung, die nach § 9 VO PR Nr. 30/53 stets nachträglich durchzuführen ist, anhand nachfolgender weiterer Umsätze des Anbieters beurteilen, ob dieser den beim ersten Vertragsabschluss vereinbarten Preis für die marktgängige Leistung auch bei späteren Abschlüssen durchsetzen konnte. Gleiches gilt in Fällen von Preiserhöhungen einschließlich der Anhebung von Listenpreisen (dazu Beißel, in: Michaelis/Rhösa, Preisbildung bei öffentlichen Aufträgen, Stand Juni 2015, § 4 VO PR Nr. 30/53 S. 10 f. unter B.V.2.b). Auch hier lässt sich rückblickend ohne Weiteres feststellen, ob der Anbieter den höheren Preis nur einmal oder auch bei späteren Umsätzen erzielen konnte. Welche Zeiträume dabei in den Blick zu nehmen sind, richtet sich nach den zeitlichen Grenzen des Marktes für die umgesetzte Leistung; regelmäßig werden mindestens die Umsätze innerhalb eines Jahreszeitraums zu betrachten sein.
BVerwG, Urteil v. 13. April 2016 – Az.: 8 C 2.15
Freilich betrafen die Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes die Prüfung eines betriebssubjektiven Marktpreises im unvollkommenen Markt. Allerdings ist es weder der VO PR 30 / 53 a.F. noch der aktuellen Fassung fremd, den auf einem allgemeinen Markt feststellbaren betriebssubjektiven Marktpreis auf den unvollkommenen bzw. besonderen Markt zu übertragen (vgl. § 4 Abs. 4 VO PR 30 / 53 n.F. / Erster Runderlass zur VO PR 30 / 53 v. 22. Dezember 1953, Ziff. 5 Zu § 4 Abs. 1). Um zur Prüfung des streitbefangenen Preises entlang der Prämissen eines Selbstkostenpreises zu gelangen, hätte das OLG Köln feststellen müssen, ob der Newcomer / Anbieter / Kläger nicht über einen betriebssubjektiven Marktpreis auf dem Allgemeinen Markt verfügt. Hierbei hätte das OLG Köln, wenn man die Entscheidung des BVerwG aus dem Jahr 2016 zu den Newcomer-Produkten für zutreffend erachtet, nicht nur retrospektiv prüfen dürfen (OLG Köln, aaO, Rz.165), sondern prospektiv prüfen müssen. Denn, wies es das BVerwG und der vorzitierten Entscheidung feststellt, ist bei der Frage nach dem verkehrsüblichen Preis bei Newcomern ein Perspektivwechsel möglich und geboten, um den betriebssubjektiven Marktpreis ermitteln zu können. Hiernach wird es, so das BVerwG weiter, regelmäßig auf die künftigen Umsatzakte im Folgejahr ankommen (s.o.). Die Feststellung, dass es keinen verkehrsüblichen betriebssubjektiven Marktpreis geben kann, weil erstmalig Schutzmasken durch den Anbieter angeboten wurden (OLG Köln, aaO, Rz.165) scheint vor diesem Hintergrund zweifelhaft.
Die Entscheidung des OLG Köln ist noch nicht rechtskräftig – es wird daher abzuwarten sein, ob und wie sich der Bundesgerichtshof hierzu verhalten wird.
Heidelberg, im November 2025