Beitrag zur Entscheidung des BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2025 – Az.: VI ZR 24/25
1. Ausgangssituation
Der Ersatz von Mehrbedarfsschäden in Folge eines Schadensereignisses ist regelmäßig Gegenstand intensiver juristischer Nicht selten stellen die Instanzgerichte hohe Anforderungen an die Substantiierung und Darlegung der Höhe immaterieller oder fiktiver Schadensposten. Insbesondere beim Haushaltsführungsschaden fordern Gerichte oft detaillierte Angaben zu Stundenumfängen, Beeinträchtigungsgraden und Ersatzkräften, um eine Schätzung nach § 287 ZPO als unmöglich zu erachten.
Vor diesem Hintergrund hatte der VI. Zivilsenat am Bundesgerichtshof über eine Nichtzulassungsbeschwerde zu entscheiden, bei der das Oberlandesgericht Hamm einen Anspruch auf Ersatz von Haushaltsführungs- und Mehrbedarfsschäden mit der Begründung abgelehnt hatte, der Vortrag des Klägers bilde keine taugliche Schätzungsgrundlage.
Die Ausführungen des Bundesgerichtshofs könnten auch für die Rechtsprechung des siebenten Zivilsenates im Kontext der Schätzbefugnis bei Entschädigung gem. § 642 BGB relevant werden.
Der Entschädigungsanspruch des Unternehmers nach § 642 BGB ist eine der zentralen Anspruchsgrundlagen bei Annahmeverzug des Bestellers im Bauvertrag. Er dient dem Ausgleich dafür, dass der Auftragnehmer infolge der unterlassenen Mitwirkungshandlung des Bestellers (z. B. fehlende Vorleistung, nicht baureifes Baufeld) Produktionsmittel (Personal, Geräte, Kapital) unproduktiv bereithalten muss.
Der VII. Zivilsenat am BGH (zuständig für Bauvertragsrecht) stellte in seiner Grundsatzentscheidung (BGH, Urteil v. 30. Januar 2020 – Az.: VII ZR 33/19) klar, dass der Anspruch des Unternehmers aus § 642 BGB eine Abwägungsentscheidung des Tatrichters auf der Grundlage der in § 642 Abs. 2 BGB genannten Kriterien erfordert. Hiernach ist die Höhe der angemessenen Entschädigung im Ausgangspunkt an den auf die unproduktiv bereitgehaltenen Produktionsmittel entfallenden Vergütungsanteilen zu orientieren. Die Berechnung der angemessenen Entschädigung war in der Vergangenheit stets umstritten, da § 642 BGB kein vollständiger Schadensersatzanspruch ist, sondern ein verschuldensunabhängiger Anspruch sui generis. Regelmäßig stellen sich in der Praxis die Fragen, welche Darlegungsanforderungen an die unproduktive Bereithaltung zu stellen sind und in welchem Umfang die Schätzung nach § 287 ZPO zurückgegriffen werden kann.
Der VII. Zivilsenat verweist mit der Eröffnung der Schätzungsbefugnis nach § 287 ZPO also auf ein zentrales prozessuales Instrumentarium, das just in jüngster Zeit durch den VI. Zivilsenat (zuständig für Schadensersatzrecht) am Bundesgerichtshof in Bezug auf die Darlegungslast erneut präzisiert wurde.
2. Stellungnahme
Der Bundesgerichtshof (BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2025 – Az.: VI ZR 24/25) hob das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm auf, weil das Berufungsgericht die Anforderungen an die Substantiierung eines Haushaltsführungsschadens überspannt hatte. Der Vortrag der Klägerin, der detailliert 17 wöchentliche Stunden (14 Stunden Reinigungsarbeiten und 3 Stunden Einkaufen) als unfallbedingt nicht mehr leistbar auswies, war nach Auffassung des Senats eine hinreichende Grundlage. Auf dieser Basis hätte das Berufungsgericht zumindest einen Mindestschaden schätzen können, notfalls auch anhand eines Tabellenwerkes.
In seinem Beschluss stellte der VI. Zivilsenat zudem klar, dass § 287 ZPO dem Geschädigten nicht nur die Beweisführung, sondern auch die Darlegungslast erleichtert.
Die Feststellung des VI. Zivilsenats, dass Gerichte die Anforderungen an die Substantiierung nicht überspannen dürfen und hierdurch das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzen, könnte auf den Anspruch aus § 642 BGB übertragbar sein. Beim Haushaltsführungsschaden soll der Geschädigte die unfallbedingte Beeinträchtigung seiner Arbeitskraft im Haushalt darlegen; bei § 642 BGB soll der Unternehmer die tatsächlich unproduktiv vorgehaltenen Produktionsmittel (Personal, Geräte) konkret benennen. In beiden Fällen ist eine exakte, taggenaue Darlegung der Grundlagen für die Berechnung des jeweiligen Ersatzanspruchs geboten.
Für den bauzeitlichen Entschädigungsanspruch aus § 642 BGB ist hierbei ferner die Berechnungsformel E [Entschädigung] = A x T zu berücksichtigen und eine Darstellung des konkreten Bauablaufs erforderlich, die oft unmöglich oder unverhältnismäßig aufwändig erscheint. Wenn der Unternehmer seine unproduktiven Vorhaltekosten (z. B. Personalkosten, kalkulierte Gerätekosten, hierauf fallende Anteile der Zuschläge für AGK und W+G) allerdings in sich logisch und entlang von tabellarischen Aufstellungen nachvollziehbar darlegt, dürfte – wenn man sich der vorstehend in Bezug genommenen Entscheidung des VI. Zivilsenats am Bundesgerichtshofs anschließen möchte - einiges dafürsprechen, dass diese Tabellenwerke als ausreichende Schätzungsgrundlage i.S.d. § 287 ZPO für einen Mindestschaden akzeptiert werden könnten.
Für die anwaltliche Praxis könnte dies folglich bedeuten, dass ein logisch aufgebauter, nachvollziehbarer Vortrag entlang des Bauablaufs, den vorliegenden Behinderungen bei den einzelnen Leistungspositionen (und wie diese ohne die Behinderung hätten ausgeführt werden können), die für die Ausführung dieser Leistungen vorgesehenen Betriebsmittel (Personal, Geräte) nebst Stundenkontingenten, Stundenlisten und Tätigkeitsbereichen sowie der hierauf fallenden Zuschlagsanteile – auch wenn diese teilweise pauschalisiert würden – als ausreichende Schätzungsgrundlage dienen könnte und ein Verweis auf § 287 ZPO durch das Instanzgericht nicht vorschnell abgelehnt werden darf.
3. Auswirkungen auf die Praxis
Die Entscheidung des VI. Zivilsenats am Bundesgerichtshof (BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2025 – Az.: VI ZR 24/25) könnte also ein wichtiges (und ggf. korrigierendes) Signal an die Instanzgerichte – auch der Bau-/Handelskammern – sein, rückt Sie doch die grundlegende Bedeutung des § 287 ZPO im Schadensrecht wieder in den Fokus. Der BGH unterstreicht, dass die Möglichkeit einer gerichtlichen Schätzung nicht durch das Verlangen nach unzumutbar detaillierten oder gar widerspruchsfreien Angaben vereitelt werden darf.
Da die Instanzgerichte (vgl. OLG Brandenburg, Urteil v. 20. Juli 2023 – Az.: 10 U 14/23; OLG Köln, Urteil v. 12. April 2021 – Az.: 19 U 76/20; BGH, Beschluss v. 15. Februar 2023 – Az.: VII ZR 413/21 [Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen]) oftmals auch beim Entschädigungsanspruch gem. § 642 BGB eine bauablaufbezogene Darstellung (im Sinne eines Vergleichs zwischen einem ungestörten und dem verzögerten Bauablauf) fordern, könnte dies eine deutliche Erleichterung für die Praxis darstellen, denn die Darlegungs- und Beweisanforderungen an den Werkunternehmer im Rahmen des § 642 BGB sind gerade vor dem Hintergrund der „bauablaufbezogenen Darstellung“ oftmals mit erheblichen Unwägbarkeiten verbunden.